Frühreif

 

Jeden Geburtstag werden meine Zimmerpflanzen um eine Orchidee vermehrt: Orchideen mit weißen Blüten, mit rosa, mit zartgrün-dunkelviolett gesprenkelten.

 

Das erste Erfolgserlebnis hatte ich, als die Orchidee meiner Mutter nach ihrer ersten Blüte schlapp zu machen drohte. Meine Diagnose: nicht zu viel, sondern zu wenig Wasser - und ich hatte Recht. Die Blätter nahmen wieder zu, und noch vor dem Tod meiner Mutter trug die Orchidee wieder eine weiße Blüte, eine einzige:

 

 die sorge

nicht immer findet sie

guten nährboden

 

Exoten sind eigentlich nicht meine bevorzugten Pflanzen. Erst eine Ausstellung in Bad Aussee öffnete mir die Augen für die Orchideenvielfalt unserer Alpen.

 

Inzwischen habe ich mich auch mit den fremden Gästen angefreundet:

 

Ich beobachte sie, fühle, ob der Feuchtigkeitshaushalt ausgewogen ist, gehe auf ihre Bedürfnisse ein und, wenn es sein muss, rede ich ihnen gut zu. Manchmal bekommen sie auch Streicheleinheiten, und sie danken es mir reichlich durch Blütentriebe mit vielen kleinen oder wenigen großen Blüten.

 

dank

begehr ich nicht

doch freut er mich 

                                                                                                   

Besonders eine treibt es bunt. Mehrmals im Jahr beglückt sie mich mit ihrer Pracht.

 

 

Im letzten Sommer entwickelte sie gleichzeitig drei Triebe, und während zwei schwer an Blüten trugen, entwickelte sich auf dem dritten überraschend ein kleines Blatt.

 

 

 

Also gegoogelt: Wir bekommen ein KINDEL.                                             

 

Gemäß guter Ratschläge aus dem Internet sollte man nun abwarten bis sich mindestens zwei Blätter und einige Wurzeln gebildet haben, erst dann darf man den Nachwuchs unter sterilen Bedingungen abtrennen. Anschließend wird das Kleine in ein Orchideensubstrat eingesetzt oder man lässt es an der Mutterpflanze hängen und setzt es auf den Topf mit Substrat, bis es anbeißt. Das klingt zwar einfacher, ist jedoch nicht nur eine Platzfrage, sondern in der Folge eine Frage der richtigen Drehung zum Licht. Somit auch Fensterputzen längere Zeit unmöglich.

 

Mein Kindel hat es sich anders überlegt: es wird schwanger, mit Zwillingen! Mit dem zweiten Blatt sprossen auch zwei lange Blütentriebe. Das Kindel in diesem Zustand abzunabeln kam nicht in Frage.

 

    

 

    

 

 ungeduld

macht uns

sprachlos

 

Also wieder warten, denn Orchideenblütenphasen dauern bekannterweise lange. In der Zwischenzeit hatte ich einige Verpflichtungen wahrzunehmen – Geduld war angesagt, bis sich unsere Termine vereinbaren ließen. So war es jedenfalls von meiner Seite geplant.

 

Dann allerdings musste alles sehr rasch gehen, denn die Blüten begannen zu hängen, die Blätter wurden schlapp. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und schnitt das Kindel ab, natürlich mit einer unsterilen Schere, setzte es in normale Orchideenerde ein, weil Substrat im Markt nicht verfügbar.

 

     

nach dem sinn

stellt sich nicht die frage

überleben

                                                                                

Jetzt hieß es, den Säugling feucht zu halten, optimal in einem Brutkasten mit Luftlöchern, um Schimmelbildung in der Erde zu vermeiden. Dazwischen sollte das Kindel auch immer wieder kurze Zeit voll Luft schnappen dürfen.

 

In das von meiner Schwiegertochter zur Verfügung gestellte kleine Kunststoff-Gewächshaus passte der Gschropp wegen der langen Blütentriebe nicht hinein, also stülpte ich ihm in der Nacht und anfangs auch noch einige Stunden untertags ein großes Nylonsackerl über.

     

 

Ein Blütentrieb ließ alles hängen, 

ich trennte ihn ab, in der Hoffnung, dass mehr Kraft für den zweiten bliebe.

 

Dieser erholte sich zusehends und behielt zwei der übriggebliebenen drei Blüten. Auch die Blätter nahmen an Spannung zu.
 

  

 

Drei Wochen hielt ich diesen Rhythmus der mit Nylonsackerl verlängerten Nachtruhe bei, besprühte das Kindel, stelle es untertags von der Heizung weg. Die Blätter blieben fest und ich hatte den Eindruck, als würden die desnachts zusammengeballten Blüten in den Lichtstunden etwas aufgehen.

 

 

Die hellen Zeiten werden verlängert, die Blätter und Wurzeln immer wieder besprüht.                     

konditionieren

 für einsamkeit

in freiheit

 

 

Jetzt habe ich die Heizung abgedreht, das Kindel seit dem Eintopfen das erste Mal gegossen und auf das Fensterbrett ins Sonnenlicht gestellt.

 

 

Noch bin ich in Sorge, ob die Erde und Wurzeln nicht zu feucht, die Blätter nicht zu trocken sind. Durch den Kunststofftopf (mit erhöhtem Boden, damit das überschüssige Wasser abfließen kann) schimmert frisches Grün einer treibenden Wurzel.

 

Der Wetterbericht kündigt den Frühling mit Sonnenschein und wärmeren Temperaturen an. Dann sollte auch mein Kindl in dem ungeheizten Zimmer nicht mehr frieren…

 

                                                      

das baby niest

ein sonnenstrahl

hat es wachgeküsst